In der Schweiz leiden rund 2,2 Mio. Menschen an nichtübertragbaren Krankheiten (NCD) wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese NCDs verursachen nicht nur grosses persönliches Leid, sie verursachen auch enorme Kosten von rund CHF 50 Milliarden pro Jahr. Die Entstehung von NCDs wird stark von der Ernährung beeinflusst; eine ungesunde Ernährung erhöht das Risko an einer NCD zu erkranken.
Aus gesellschaftlicher wie aus wirtschaftlicher Sicht lohnt es sich somit, darüber nachzudenken, wie NCDs verhindert respektive wie eine gesunde Ernährung gefördert werden kann. Verantwortlich für eine gesunde Ernährung sind schlussendlich wir alle. Niemand will ein vorgeschriebenes Einheitsmenü vorgesetzt bekommen, dank dem wir 100 Jahre gesund, aber ohne Freude leben. Die Selbstverantwortung wahrzunehmen, ist aber im täglichen Leben nicht immer einfach. Es braucht dazu Rahmenbedingungen, welche uns eine gesunde Wahl ermöglichen. Dazu gehört einerseits die Ernährungskompetenz der Konsumentinnen und Konsumenten. Die Basis dafür ist die Lebensmittelpyramide, welche die Ernährungsempfehlungen bildlich umsetzt und einen Anhaltspunkt gibt, wie eine gesunde Ernährung aussieht. Weiter gehören eine gut verständliche Kennzeichnung sowie die Verfügbarkeit von Lebensmitteln mit einer ausgewogenen Zusammensetzung, das heisst weniger Zucker, Salz oder Kalorien, dazu. Schlussendlich muss die Lebensmittelindustrie bei an Kinder gerichteter Werbung Verantwortung übernehmen und die Voraussetzungen schaffen, dass unsere Kinder in einer gesunden Ernährungsumgebung aufwachsen können.
Die meisten Lebensmittelunternehmen propagieren auf ihren Webseiten oder in den Jahresberichten, dass sie ihre «Corporate Social Responsibility» wahrnehmen und die Auswirkungen ihrer unternehmerischen Tätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt berücksichtigen. Aber tun sie das wirklich oder sind es nur schöne Worte?
Es gibt Bereiche, bei denen positive Schritte zu sehen sind. So haben sich im Rahmen der Erklärung von Mailand 21 Schweizer Lebensmittelunternehmen freiwillig verpflichtet, ihre Rezepturen bei ausgewählten Lebensmittelkategorien zu überarbeiten und den Zuckergehalt zu reduzieren. Gut, sogar sehr gut!
Aber sind 21 Unternehmen, die ihre Verantwortung wahrnehmen, genug? Was ist mit all den anderen Unternehmen? Und was ist mit Bereichen wie zum Beispiel der verantwortungsvollen an Kinder gerichteten Werbung, bei der seit Jahren ein Stillstand besteht?
Die Lösung erscheint einfach: Es braucht entweder eine signifikante Erweiterung – sowohl in Bezug auf die Anzahl der teilnehmenden Unternehmen wie auf die bearbeiteten Lebensmittelkategorien – oder es braucht rechtliche Vorgaben, damit sich nicht nur 21 Firmen engagieren, sondern alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen haben. Die Zusammenarbeit des Bundes mit der Lebensmittelindustrie bei der Erklärung von Mailand hat gezeigt, dass zusammen Wege gefunden werden können, die für die Lebensmittelindustrie umsetzbar sind und gleichzeitig eine gesunde Ernährung unterstützen. Das ist einmalig in Europa. Wenn es freiwillig klappt, tut es dies auch mit rechtlichen Vorgaben. Damit erhielten einheimische Unternehmen, die bereits Schritte umgesetzt haben, gleich lange Spiesse wie die Konkurrenz aus dem Ausland, die sich nicht an die freiwilligen Vorgaben hält und so billiger – und auch ungesünder – produzieren kann. Könnte eine gemeinsam erarbeitete rechtliche Regelung nicht eine gute Sache sein?
Dr. Michael Beer, Stellvertretender Direktor Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV