Bis vor einigen Jahren reichte es aus, wenn Lebensmittelhersteller ihre Produktionsstruktur mehrmals und saisonabhängig im Jahr änderten. Heute haben sich die Anforderungen auf den Shop Floors in der Branche deutlich verändert. Die Vielzahl der individuellen Verbraucherwünsche erfordert es, jederzeit Maschinen umstellen, Rezepturen anpassen und alternative Verpackungsformen einführen zu können. Diese neue Form der Produktionsteuerung verbindet sensorische Realtime-Daten mit zuverlässigen Vorhersagen über Betriebszustände der Anlagen und kombiniert diese mit wirtschaftlichen Erwägungen.
Robotik und Automation sind für die Lebensmittelindustrie unverzichtbar. Viele Prozesse wurden in den zurückliegenden Jahren bereits automatisiert und teilweise schon digitalisiert. Doch in der "Smart Food Factory" von morgen sollen die Anlagen eigenständig miteinander kommunizieren, um ihre Aufgaben zu erledigen. Im Rahmen ihrer Industrie 4.0-Strategie entwickeln die Automatisierungsspezialisten und Messtechnikanbieter dafür konkrete Lösungen, die sich nahtlos auf der Feldebene einfügen und Lebensmittelproduzenten umgehend einen Zusatznutzen bieten.
Als ersten Schritt auf dem Weg der digitalen Transformation integrieren sie neue Sensoren in die Bestandsanlagenanlagen und konfigurieren sie so, dass sie Daten in die Cloud übertragen und mit Smartphones kommunizieren können. Im Idealfall gelangen die kritischen Prozessparameter wie Zucker- oder Stickstoffgehalt in Echtzeit und ohne Umwege via Bluetooth aus dem Feld auf das Tablet. Dadurch lässt sich die Effizienz der Linie ermitteln und häufig auch potenzielle Engpässe im Prozess identifizieren, was wiederum weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Overall Equipment Effectiveness (OEE) bietet.
Längst sind die Sensoren nicht mehr nur für die produktionsverantwortlichen Ingenieure interessant. Denn neben den klassischen Aufgaben wie der Messung von Temperatur, Druck oder pH-Wert, spielen sie bei der kontinuierlichen Überwachung der Motoren und Pumpen eine zentrale Rolle. Sensoren, die Positions- und Beschleunigungsparameter sowie Schwingungen erfassen, machen sichtbar, was erst auffallen würde, wenn es bereits zu spät ist: den Verschleiss mechanischer Komponenten. Das Bedienpersonal hat so jederzeit Zugriff auf alle Informationen, kann fundierte Entscheidungen zur Wartung treffen – und so auftretende Probleme im Prozess schneller beheben. Doch die vernetzte Sensorik verlangt auch nach durchgängigen Informationskanälen, die herstellerunabhängig bis in die unterste Feldebene reichen. Wichtig ist, dass alle Maschinen über Standardprotokolle und gemeinsame Datensätze kommunizieren.
Assistenzsysteme sorgen für mehr Transparenz
Mittelfristig sollen die Tools und Webservices noch um eine weitere Dimension ergänzt werden – um Assistenzsysteme. Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Dresden entwickelt mit SAM ein solches selbstlernendes Assistenzsystem, dass die Anlagenbediener in der Lebensmittelindustrie bei der Fehlerbehebung und dem Aufbau von Erfahrungs- und Prozesswissen unterstützt. SAM kann ähnlich schnell wie ein Mensch lernen und Muster bereits nach wenigen Wiederholungen -erkennen. Es unterstützt die kognitiven Fähigkeiten bei der Informationsaufbereitung, dem Treffen von Entscheidungen sowie dem Ausführen und der Kontrolle von Maschinen, Prozessen und Produkten. Durch die Kombination von industrieller Bilderkennung und einer intelligenten Datenbank begleiten Assistenzsysteme die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Echtzeit während der Produktion.
Lösungen für die industrielle Praxis
IT-Experten erwarten den grössten Einsatzzuwachs von Industrie 4.0-Technologien demzufolge in den Bereichen Virtual Reality und Augmented Reality – zwei Visualisierungsverfahren, die bereits heute in vielen Betrieben beim Einlernen und Trainieren zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft soll auch SAM in den kommenden Jahren weiterwachsen und durch solche Module in seinen Funktionen ergänzt werden. Dann können über eine Schnittstelle verschiedene Interaktionsgeräte angeschlossen werden, wie Wearables, Datenbrillen oder Eyetracker.
Denkbar sind beispielsweise die Nutzung externer Sensoren sowie Sprach- und Gestenerkennung. Perspektivisch soll sich SAM sowohl für die Bedienung als auch für die Wartung, das Rüsten, die Montage und die Entwicklung von Maschinen einsetzen lassen – allesamt Aspekte, die auf der Anuga FoodTec in Köln aufgegriffen werden und die im Zentrum der Digitalisierungsstrategien für die Lebensmittel- und Getränkeproduktion stehen.
Die Anuga FoodTec vom 26. bis 29. April 2022 in Köln (www.anugafoodtec.de) fokussiert auf diese Themen. (Kölnmesse)