Bakterien produzieren für den Menschen interessante Materialien wie Zellulose, Seide oder Mineralien. Der Vorteil der bakteriellen Produktion ist, dass sie nachhaltig ist, bei Raumtemperatur und in Wasser abläuft. Ein Nachteil ist, dass die Bakterien viel Zeit brauchen und nur geringe Mengen produzieren - zu wenig, um industriell nutzbar zu sein. Die Forschung versucht daher seit langem, aus Mikroorganismen lebende Minifabriken zu machen, die schneller grössere Mengen eines gewünschten Produkts herstellen. Dazu muss man entweder gezielt ins Erbgut eingreifen oder die am besten geeigneten Bakterienstämme züchten.
Einen neuen Ansatz präsentiert nun die Arbeitsgruppe von André Studart, Professor für Komplexe Materialien an der ETH Zürich, am Beispiel des zelluloseproduzierenden Bakteriums mit dem komplizierten Namen Komagataeibacter sucrofermentans. Indem sie die Prinzipien der Evolution durch natürliche Selektion auf ihre Methode anwenden, können die Wissenschaftler innert kürzester Zeit Zehntausende von Varianten des Bakteriums erzeugen und gezielt diejenigen auswählen, die am meisten Zellulose produzieren.
K. Sucrofermentans produziert von Natur aus hochreine Zellulose, ein Material, das unter anderem für biomedizinische Anwendungen, die Herstellung von Verpackungsmaterial oder Textilien sehr gefragt ist. Diese Zellulose fördert beispielsweise die Wundheilung und beugt Infektionen vor. «Doch die Bakterien wachsen langsam und produzieren nur begrenzte Mengen des Materials. Wir mussten also einen Weg finden, die Produktion anzukurbeln», erklärt Julie Laurent, Doktorandin in Studarts Gruppe und Erstautorin einer Studie, die gerade in der Fachzeitschrift PNAS erschienen ist. Mit dem von ihr entwickelten Ansatz ist das gelungen: Einige wenige Varianten von K. Sucrofermentans produzieren bis zu siebzig Prozent mehr Zellulose als die Ausgangsform.
Mit UV-Licht die Evolution beschleunigen
Zunächst erzeugte die Materialforscherin aus dem ursprünglichen Bakterium, dem so genannten Wildtyp, neue Varianten. Dazu bestrahlte sie die Bakterienzellen mit UV-C-Licht. Das UV-Licht schädigt die Bakterien-DNA an zufälligen Stellen. Anschliessend liess Julie Laurent die Bakterien in der Dunkelkammer ruhen, was sie daran hindert, die DNA-Schäden zu reparieren. Dadurch entstehen Mutationen. Dann verkapselte sie jede einzelne Bakterienzelle mit einer Miniaturapparatur in einem winzigen Tropfen Nährlösung und liess die Zellen eine Zeit lang Zellulose produzieren. Nach der Inkubationszeit untersuchte sie mit Hilfe der Fluoreszenzmikroskopie, welche Zellen viel Zellulose produzierten und welche keine oder nur sehr wenig.
Mit einer von ETH-Chemiker Andrew Demello entwickelten Sortieranlage sortierte Studarts Team automatisch jene Zellen aus, die sich zu den besten Produzenten entwickelt hatten und besonders viel Zellulose produzierten. Die Sortieranlage arbeitet vollautomatisch und sehr schnell. In nur zehn Minuten kann sie eine halbe Million Tröpfchen mit einem Laser abtasten und diejenigen aussortieren, die am meisten Zellulose enthalten. Am Ende bleiben nur vier übrig, die 50 bis 70 Prozent mehr Zellulose produzieren als der Wildtyp.
Die Forschenden wollen nun mit Firmen zusammenarbeiten, die bereits bakterielle Zellulose produzieren, um die neuen Mikroorganismen unter realen industriellen Bedingungen zu testen. (ETHZ)