Die Schweizer Bäckerei-Konditorei-Confiserie-Branche orientiert sich – gewollt oder gezwungenermassen – neu. Der Markt ist im Umbruch, zwei Drittel des Absatzes der Branche erfolgen über Grossverteiler respektive alternative Kanäle. Der Markt ist umkämpft, die Produkte sind an 7 Tagen in der Woche 24 Stunden rund um die Uhr verfügbar. Der Konsument verlangt permanent ein volles und frisches Sortiment, wobei «frisch» mit «warm» gleichgesetzt wird.Die handwerklichen Betriebe positionieren sich mit einer Qualitätsstrategie, verwenden, wo es möglich ist, regionale Rohstoffe, produzieren täglich mehrmals frisch vor Ort, verfügen damit über kurze Vertriebswege und pflegen den persönlichen Bedienungs- und Beratungsverkauf. Aber reicht das, um sich auch in 5, 10 oder 15 Jahren erfolgreich behaupten zu können? Der Konzentrationsprozess schreitet weiter voran, die Betriebe werden grösser und sind komplexer zu führen. Produktions- und Verkaufsprozesse können zunehmend optimal gesteuert und die Bedürfnisse der Kunden erkannt und zeitgerecht umgesetzt werden. Zunehmende Importe, Lifestyletrends wie «Low Carb» oder glutenfreie Ernährung bis hin zu den politischen Entwicklungen im Bereich der Prävention bedrohen die wirtschaftlich positive Entwicklung unserer Branche jedoch nachhaltig. Deshalb befasst sich der SBC mit den Fragen, wie sich der Konsument in den nächsten 5 bis 7 Jahren entwickeln wird oder welche Technologien unser tägliches Leben prägen könnten. Und nicht zuletzt natürlich, welche gesellschaftlichen Veränderungen das Konsumverhalten beeinflussen werden. Antworten auf diese Fragen zu geben oder zumindest Inspirationen zu vermitteln, ist das Ziel dieser Trendstudie, welche der Schweizerische Bäcker-Confiseurmeister-Verband in Auftrag gegeben hat. Konkrete Handlungsempfehlungen sollen als Impulse für die gesamte Wertschöpfungskette innerhalb dieser Branche aufgenommen und umgesetzt werden. Allgemein gültige Rezepte gibt es nicht, aber durchaus Potenzial und Chancen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Betriebe in unserer Branche.
Szenario 1: Genuss
Was ist es, was uns Menschen am Essen fasziniert? Essen wird immer mehr zum Lifestyle-Event, die eigenen Vorlieben zum Identifikationsmerkmal und die gelebte Esskultur zum Statussymbol. Dazu gehört auch das Bedürfnis einer vertieften Auseinandersetzung mit einzelnen Geschmacksnuancen und die Lust, sich weiterführendes Wissen über Speisen und Getränke anzueignen. Junge Generationen sind so mobil und selbstverständlich auf der ganzen Welt unterwegs wie nie zuvor. Inspiriert durch andere Kulturen und Geschmäcke, sind sie einerseits sehr neugierig, stellen aber auch hohe Anforderungen an das, was zuhause auf den Teller kommt. Ob von der wissenschaftlich angehauchten molekularen Küche inspiriert oder nach Grossmutters Geheimrezept stundenlang auf offenem Feuer geköchelt: Essen soll in Zukunft Geschichten erzählen und damit vom reinen Mittel zum Zweck zu einem sinnstiftenden und nachhaltig wirkenden Erlebnis werden.
Szenario 2: Convenience
In einer schnelllebigen Gesellschaft ist Zeit ein Luxusgut. Der Konsument der Zukunft ist immer unterwegs, immer beschäftigt und sucht deshalb nach effizienten Lösungen, die ihm lästige und zeitaufwendige Alltagsaufgaben erleichtern oder ganz abnehmen. Essen und Einkaufen wird zunehmend als Notwendigkeit gesehen, die schnell und unkompliziert bewerkstelligt werden soll und sich dem dichten Takt des Alltags unterordnet. Im Mittelpunkt stehen somit zukünftig Services rund um das Thema Convenience – die Bedürfnisbefriedigung soll für den Konsumenten so einfach und schnell wie möglich erfolgen. Konsumenten werden immer weniger bereit sein, weite Einkaufswege, lange Wartezeiten an der Kasse, den zeitraubenden Hindernislauf durch den Verbrauchermarkt oder beschränkte Öffnungszeiten in Kauf zu nehmen, noch sind sie gewillt, viel Zeit und Mühe in die Zubereitung von Mahlzeiten zu investieren und sich festen Essenszeiten zu unterwerfen. Unzählige Online-Lebensmittel-Liefer- services vertreiben schrittweise das «klassische» Einkaufen, indem sie ein orts- und zeitungebundenes Einkaufserlebnis ermöglichen. Zum einen bringen diverse Lebensmittelabonnements bestimmte Produkte nachhause, zum anderen nutzen Restaurants und Supermärkte immer häufiger den Online-Weg als weiteren Vertriebskanal.Als Ergebnis des chronischen Zeitmangels rücken Self-Service-Systeme in den Vordergrund, die den Kundenkontakt beim Lebensmitteleinkauf zukünftig stark automatisieren und Kunden einen anonymisierten und schnellen Einkauf ermöglichen. Demzufolge ändert sich nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch die Art und Weise, wie Nahrung konsumiert wird: On-the-Go-Konzepte rücken in den Mittelpunkt, Snacks ersetzen klassische Mahlzeiten und Selbstgekochtes wird durch Fertigmahlzeiten substituiert. Verbraucher setzen sich aus Mangel an Musse und Zeit nicht mehr mit Ernährung und Esskultur auseinander und verlieren den Bezug zu frischen Nahrungsmitteln und Selbstgekochtem.
Szenario 3: Gesundheit
Das effektive Selbstmanagement der eigenen Gesundheit und des persönlichen Wohlbefindens wird zukünftig zum Imperativ einer leistungsorientierten Gesellschaft. Das Ernährungsverhalten ordnet sich den individuellen Gesundheitsansprüchen unter und ist zugleich die Basis des persönlichen Erfolges. Nahrung soll dabei nicht nur satt, sondern auch attraktiv, fit und resilient machen. In Zukunft werden Lebensmittel über eine Vielzahl von Zusatzfunktionen verfügen. Sie unterstützen den Konsumenten in Sachen Gesundheit, Kreativität, Ausdauer, Konzentration oder Entspannung. In den Mittelpunkt der individuellen Selbstoptimierung rücken vermehrt personalisierte Produkte. Sie passen sich an den eigenen Stoffwechsel und Biorhythmus an. Sie nehmen Rücksicht auf Unverträglichkeiten und kennen zukünftig durch den Einsatz von DNA-Analysen sogar unsere genetischen Dispositionen. Lebensmittel zur Gesundheitsvorsorge erweitern das Sortiment kontinuierlich und beinhalten neben konventionellen Zutaten hochfunktionale Wirkstoffe.Technologie wird auf dem Weg zu einer optimalen Gesundheit der wichtigste Helfer. Sensoren in Tellern, Tassen und Besteck messen das Ess- und Trinkverhalten. Intelligente Kleidung zeichnet sämtliche Vitalwerte sowie das tägliche Bewegungsprofil auf. Auf Basis dieser Daten kann die Gesundheit eigenverantwortlich kontrolliert und verbessert werden. Dazu geben digitale Assistenten individuelle Empfehlungen wie Rezepttipps oder Verzehrhinweise. Sie helfen bei der permanenten Suche nach der optimalen Performance. Essen ist zukünftig nicht mehr Konsum, sondern wird zur Investition in die eigene Gesundheit.
Szenario 4: Werte
Das nachhaltige Bewusstsein ist längst keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern hat sich in den letzten Jahren langsam, aber stetig in unseren Köpfen als erstrebenswerter Zustand gefestigt. Die Frage bleibt: Wann sind wir so weit, dass sich dieses Bewusstsein auch nachhaltig in unserem Bauch einnistet? Gerade in der westlichen Welt stossen wir in unserer Lebensgestaltung an ein unausweichliches Paradox: Einerseits wächst der gesellschaftliche und politische Druck, weniger Ressourcen zu verbrauchen und den ökologischen Fussabdruck zu verringern. Auf der anderen Seite steht unser Wunsch nach Vereinfachung und einer florierenden Wirtschaft. Um in Zukunft alles vereinen zu können, müssen es nachhaltige Produkte schaffen, sich von der Kategorisierung «Nischenmarkt» zu befreien und zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand zu werden. Die Chancen dafür stehen gut: Durch immer bessere Skalierbarkeit von umweltfreundlichen Produktionsmethoden und damit niedrigere Herstellungskosten ethisch korrekter Produkte wird der nachhaltige Konsum in Zukunft immer erschwinglicher. Die Herausforderung für Lebensmittelproduzenten wird es zudem zukünftig sein, die eigenen Herstellungsprozesse für den Konsumenten so transparent wie möglich zu gestalten. Verbraucher sind heute dank des Internets zwar so aufgeklärt wie nie zuvor, trotzdem ist es schwierig, aufgrund der Angebotsfülle von Ökolabeln, Fair Trade und Bio-Produkten den Überblick zu behalten. Die Reaktion ist eine stetige Unsicherheit und konstante Überforderung. Eine Reaktion auf das schwindende Vertrauen zeigt die bereits sehr weit verbreitete Do-it-yourself-Welle. Erzeugnisse selber herzustellen bietet den Konsumenten nicht nur die Möglichkeit, Produkte zu individualisieren, sondern stellt gerade im Foodbereich auch sicher, dass Qualität und Herkunft dem eigenen Anspruch entsprechen. Technologie spielt in diesem Szenario eine nicht unwichtige Rolle. Digitale Plattformen, die es bereits heute erlauben, unsere Autos oder Kleidung zu teilen, werden für immer mehr Anwendungsgebiete eingesetzt. Foodsharing-Apps, über die ich datumskritische Produkte an meinen Nachbarn übermitteln kann, weil ich kurzfristig verreise, oder digitale Services, über die ich lokale Produzenten einfach und schnell identifizieren kann, unterstützen uns zukünftig im Bestreben, einen moralisch vertretbaren und ethisch korrekten Konsum zu leben.
Resümée
Die vorangegangene Trendstudie zeigt auf, dass sich die Schweizer Bäckerei-Confiserie-Branche künftig mehr denn je in einem dynamischen Umfeld befindet und durch unterschiedliche Einflüsse geprägt sein wird. Die Zunahme der räumlichen Mobilität, der pausenlose Austausch in der digitalen Welt und die Akzeptanz unterschiedlichster Lebensformen fördern unser Selbstverständnis einer individuellen Ernährung und stärken unseren Anspruch an eine mehrschichtige Angebotsstruktur. In der Zukunft passen sich somit Produkte und Serviceangebote vermehrt an hybride Konsumentenstrukturen an, werden komplexer und differenzierter. Dabei sind es gerade auch die Spannungsfelder, die sich zwischen den einzelnen Szenarien auftun und grosses Potenzial für erfolgreiche Geschäftsmodelle versprechen. Etwa der Konsument, der seine Gesundheit durch die richtige Ernährung optimieren will, jedoch viel unterwegs ist und nach einer leistungssteigernden Zwischenmahlzeit sucht. Oder die Familie, die gerne aufwendige Mahlzeiten aus erschwinglichen Lebensmitteln zubereitet, die sowohl geschmacklich überzeugen sollen, als auch aus umweltfreundlicher Herstellung stammen. Die Chance in der Zukunft besteht somit für die Betriebe darin, genau diese Felder für sich zu identifizieren und die daraus geforderten Massnahmen innerhalb der eigenen Zuständigkeit in der Wertschöpfungskette umzusetzen. Von der ressourcenschonenden Produktion über den zeitoptimierenden Vertrieb bis hin zu einem erlebnisorientierten Marketing: Die auf uns zukommenden Veränderungen erfordern insbesondere auf Produzentenseite Mut, sich auf eine dynamische Zukunft einzulassen. In den identifizierten Trends steckt jedoch so viel Potenzial, dass es sich in jedem Fall lohnt, die aufgezeigten Möglichkeiten zu ergreifen und neue Ideen selbstbewusst umzusetzen!
Best Practice Cases
Das perfekte Frühstücksei zum Mitnehmen: Die New Egg Company hat das auf den Punkt genau gekochte Frühstücksei zum Mitnehmen erfunden. Im Vakuum gegart und pasteurisiert, wird das «Yowk» im verschliessbaren Plastikbecher angeboten und muss lediglich mit kochend heissem Wasser übergossen werden. Nach fünf Minuten Garzeit kann der Deckel abgenommen und zum Eierbecher umfunktioniert werden. Insbesondere dank der sicheren Verpackung und des mitgelieferten Eierlöffels eignet sich das «Yowk» als Snack für unterwegs.
Frisches Brot aus dem Automaten: In Frankreich werden durch einen Automaten 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche frische Baguettes gebacken und auch verkauft. So sind Kundennicht mehr auf die Öffnungszeiten von Bäckereien begrenzt und können rund um die Uhr Brot einkaufen. Für die Herstellung werden Teigrohlinge in den Automaten eingefüllt und 12 Minuten vorgebacken. Beim Kauf wird das Baguette dann frisch fertiggebacken und kommt noch warm aus dem Automaten.
Tiefkühltruhe im Supermarkt lockt mit Pommesduft: Der Lebensmittelhersteller McCain startet in Grossbritannien eine Kampagne für seine «Ready Baked Jackets»- und «Smiles»-Produkte, bei der in der Tiefkühlkostabteilung von 500 Tesco- und Asda-Filialen der Geruch von gebackenen Kartoffeln ausströmen wird. Über acht Wochen hinweg sollen dort an den Tiefkühlregalen Displays aufgestellt sein, die aktiviert werden, sobald Supermarktkunden an ihnen vorbeigehen, sodass sie den Duft von Pommes frites und Backkartoffeln wahrnehmen können.
Neue Lebensmittel aus Abfall: Das Unternehmen Coffee Flour aus Vancouver hat ein Verfahren entwickelt, um aus Ernteabfällen bei der Kaffeeproduktion einen neuen Nahrungsrohstoff herzustellen. Der verwendete Abfallstoff ist die Hülle der Kaffeebohne – die so genannte Kaffeekirsche –, die von Coffee Flour gefriergetrocknet und gemahlen wird. Das so entstehende Produkt heisst Kaffeemehl und wird für die Produktion von Brot, Gebäck oder Nudeln genutzt.
Energiegewinnung aus Restbeständen: Ein Bäcker aus Hilden macht aus der Überproduktion eine Tugend: Statt zu viel gebackene Brote – 20 Prozent mehr Brot, als tatsächlich gekauft wird, muss derzeit gebacken werden, damit die Regale bis Ladenschluss voll sind – einfach wegzuwerfen, beheizt er damit seine Öfen. Das spart Gas, die CO2-Bilanz verbessert sich, die Betriebskosten der Öfen sanken um die Hälfte.
Sensor entdeckt Gluten in Lebensmitteln: Ein vom Start-up 6Sensor Labs aus San Francisco entwickelter Sensor entdeckt selbst winzige Mengen an Gluten in Lebensmitteln und eignet sich damit speziell für Allergiker. Das diskrete, tragbare und kostengünstige Gerät verfügt über Einwegkartuschen, in die eine Probe des zu testenden Produkts gegeben wird. Anschliessend wird das Resultat an eine Smartphone-App übermittelt, über die es sich auch mit anderen Personen teilen lässt.
Kooperation zwischen Bäckerei und Krankenkasse: Die Krankenkasse IKK Nord und die Bäckerei Günther GmbH haben ein Programm für die betriebliche Gesundheitsförderung aufgelegt. Ziele des Programms sind die Steigerung der Arbeitszufriedenheit, die Verbesserung des physischen Befindens und die Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz. Das Programm konnte nachhaltig dazu beitragen, dass Krankheitstage gesenkt werden.
Restaurant kommt ohne Salz aus: In Japan hat das «No Salt Restaurant» eröffnet, in dem keiner Speise Salz hinzugefügt wird. Um zu vermeiden, dass das Essen zu fad schmeckt, setzt dasRestaurant stattdessen auf die «Electro Fork». Diese Gabel stimuliert die Zunge brim Essen mit Elektrizität und sorgt so dafür, dass der Gast auch ohne Salz geschmacklich zufriedengestellt wird. Zu den angebotenen Gerichten gehören Salat, gebratener Reis, Hackbraten und Kuchen.
Wenn der Ofen mit dem Kunden spricht: Das Unternehmen Breadtalk aus Singapur hat begonnen ein Echtzeit-Informationskonzept in seine Ladengeschäfte zu implementieren. Die Kunden werden per Bildschirm oder Mobiltelefon informiert, wenn ein Produkt frisch gebacken zum Verkauf bereitliegt. Die digitale Kopplung des Fertigungsprozesses an den Verkaufsprozess ermöglicht den Kunden einen Blick durch das neue digitale Schaufenster.